Eine Frau trainiert, Thema Muskelversagen

Bis ans Muskelversagen trainieren?

Muskelversagen ist ein heiß diskutiertes Thema im Krafttraining. Viele Athleten schwören darauf, jede Übung bis zur letzten Wiederholung durchzuziehen, bis keine weitere möglich ist. Doch ist das wirklich der Schlüssel für maximalen Muskelaufbau? Oder gibt es effizientere und nachhaltigere Strategien? In diesem Artikel werfen wir einen wissenschaftlichen Blick auf das Muskelversagen und geben praktische Tipps für das Training.

 

Was passiert bei Muskelversagen?

Muskelversagen tritt ein, wenn ein Muskel während einer Übung nicht mehr in der Lage ist, die geforderte Kraft aufzubringen, um eine Wiederholung korrekt auszuführen. Auf physiologischer Ebene bedeutet dies, dass alle verfügbaren motorischen Einheiten aktiviert wurden und die Energiequellen des Muskels erschöpft sind.

 

Wissenschaftliche Belege

Pro Muskelversagen:

Eine Meta-Analyse von Schoenfeld et al. (2017) legt nahe, dass Training bis zum Muskelversagen die Aktivierung der schnellen Muskelfasern (Typ-II-Fasern) maximiert, die das größte Wachstumspotenzial besitzen. Dies ist besonders relevant, wenn leichtere Gewichte verwendet werden, da Muskelversagen hilft, einen ausreichenden Stimulus zu setzen.

Wer war Schoenfeld? Brad Schoenfeld ist ein führender Wissenschaftler im Bereich der Sportwissenschaften und spezialisiert auf Muskelhypertrophie. Seine Forschung hat wesentlich dazu beigetragen, die Mechanismen des Muskelwachstums und die Rolle verschiedener Trainingsmethoden zu verstehen.

Typ-II-Muskelfasern

Muskelfasern werden in zwei Haupttypen unterteilt: Typ-I- und Typ-II-Fasern. Typ-II-Fasern, auch als „schnelle“ Muskelfasern bekannt, sind für explosive und kraftvolle Bewegungen verantwortlich. Sie ermöglichen hohe Kraftspitzen, ermüden jedoch schneller als die langsameren Typ-I-Fasern, die für Ausdauerleistungen zuständig sind. Studien zeigen, dass Typ-II-Fasern das größte Potenzial für Muskelwachstum besitzen, was sie für Kraftsportler besonders wichtig macht. Muskelversagen hilft dabei, diese Muskelfasern maximal zu rekrutieren.

 

Contra Muskelversagen:

Andere Studien, wie die von Lasevicius et al. (2019), zeigen, dass Muskelwachstum auch ohne Muskelversagen möglich ist, solange der Muskel in der Nähe des Versagens trainiert wird (z. B. 1-3 Wiederholungen vor dem Versagen). Tatsächlich kann ständiges Training bis zum Versagen das zentrale Nervensystem überfordern und die Regenerationszeit verlängern. Dies könnte langfristig zu Plateaus oder Verletzungen führen.

Wer war Lasevicius? Tiago Lasevicius ist ein brasilianischer Forscher, der sich intensiv mit der Optimierung von Krafttrainingsmethoden beschäftigt. Seine Studien beleuchten insbesondere die Frage, wie intensiv trainiert werden muss, um Muskelwachstum zu fördern, ohne den Körper zu überlasten.

 

Argumente gegen ständiges Training bis zum Muskelversagen

  • Übertraining: Häufiges Muskelversagen kann die Regeneration erschweren und zu Übertraining führen. Studien haben gezeigt, dass Athleten, die regelmäßig bis zum Muskelversagen trainieren, ein höheres Risiko für mentale und physische Ermüdung haben.
  • Technikverlust: Wenn die Muskeln erschöpft sind, leidet die Technik. Dies erhöht das Verletzungsrisiko, besonders bei komplexen Übungen wie Kniebeugen oder Kreuzheben.
  • Nachhaltigkeit: Muskelversagen kann mental belastend sein und führt bei manchen Trainierenden zu Motivationsverlust.

 

Optimale Strategien für Muskelwachstum

Um Hypertrophie zu maximieren, ist es nicht notwendig, jede Übung bis zum Muskelversagen auszuführen. Stattdessen gibt es effektivere und nachhaltigere Ansätze:

  • Trainiere nahe am Versagen: Studien zeigen, dass 1-3 Wiederholungen vor dem Muskelversagen ausreichen, um einen starken Wachstumsreiz zu setzen. Dies reduziert die Belastung des Nervensystems.
  • Periodisierung: Plane Phasen, in denen du gezielt bis zum Muskelversagen trainierst, z. B. während intensiver Trainingsblöcke. Danach solltest du Deload-Phasen einbauen.
  • Übungswahl: Muskelversagen ist bei Maschinenübungen sicherer, da sie eine geführte Bewegung erlauben. Bei freien Gewichten sollte die Technik immer im Vordergrund stehen.
  • Fortschrittskontrolle: Nutze RPE-Skalen (Rate of Perceived Exertion) oder Reps in Reserve (RIR), um die Intensität besser zu steuern.

Was ist die RPE-Skala?

Die RPE-Skala (Rate of Perceived Exertion) misst die empfundene Anstrengung bei einer Übung auf einer Skala von 1 bis 10. Ein Wert von 10 bedeutet, dass keine weitere Wiederholung mehr möglich ist (Muskelversagen), während ein Wert von 7-9 anzeigt, dass noch 1-3 Wiederholungen im Tank wären. Diese Methode hilft dabei, die Trainingsintensität individuell anzupassen und Überlastung zu vermeiden.

 

Praktische Empfehlungen

  • Anfänger: Sollten Muskelversagen meiden und sich auf saubere Technik und moderates Trainingsvolumen konzentrieren.
  • Fortgeschrittene: Können Muskelversagen gezielt einsetzen, z. B. bei Isolationsübungen oder in den letzten Sätzen.

 

Wieviele Wiederholungen und Sätze sind sinnvoll?

  • Hypertrophie: 3-5 Sätze mit 6-12 Wiederholungen pro Übung gelten als optimal. Diese Wiederholungszahl bietet ein gutes Gleichgewicht zwischen mechanischer Spannung und metabolischem Stress.
  • Kraftaufbau: 3-6 Sätze mit 3-6 Wiederholungen und schwereren Gewichten sind ideal.
  • Muskelausdauer: 2-4 Sätze mit 12-20 Wiederholungen eignen sich für Ausdauertraining.

 

Fazit

Muskelversagen ist ein nützliches Werkzeug im Krafttraining, sollte jedoch mit Bedacht eingesetzt werden. Es ist nicht immer notwendig, um Muskelwachstum zu erzielen. Vielmehr ist die Kombination aus Nähe zum Versagen, ausreichendem Volumen und einer guten Periodisierung der Schlüssel für langfristigen Erfolg. Trainiere intelligent und höre auf deinen Körper – dann wirst du optimale Ergebnisse erzielen.

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